Kanu-Kurzguide

Sicherheit (Achtung: Lang, aber wichtig!)

Wasser hat keine Balken, heißt es so schön. Wörtlich genommen mag das stimmen, aber wenn man daraus ableitet, auf dem Wasser könne nichts passieren, liegt man total falsch. Auch wenn Kanu fahren eine recht sichere und harmlose Sportart ist - 100%ige Sicherheit gibt es nicht. Und den wenigen Prozent Rest-Risiko fallen immer wieder Kanuten zum Opfer, deswegen gehe ich das Thema Sicherheit hier etwas ausführlicher an (sorry für die, denen es schnell langweilig wird - aber hier sollten sie wach bleiben).

Das Wichtigste überhaupt ist, daß man die eigene Fähigkeit und das eigene Können richtig einschätzt. Wer da zu leichtfertig dran geht ("ach, was soll's - das geht schon gut..."), riskiert sehr viel. Für sich selbst und für alle, die mit dabei sind. Es gibt schon zu denken, wenn gerade bei der harmlosen Wanderpaddlerei die meisten Todesopfer zu beklagen sind, und nicht im Wildwasser oder im Hochsee-Bereich.
So lange die wichtigsten Grundmanöver beim Ein- und Aussteigen, An- und Ablegen und beim Paddeln nicht wirklich sitzen, sollte man sich auf flache Badegewässer beschränken und üben. Das hört sich jetzt zwar übertrieben an, aber ist hinsichtlich dem Extremfall doch sicherer. Auch auf anderem Gebiet handelt man ähnlich vorsichtig: Was drückt man nicht alles für die verschiedenen Versicherungen ab - und wie oft hat man es schon wirklich benötigt? Da kommt auch keiner auf die Idee und sagt "Ich habe noch nie meine Versicherungen gebraucht, ich spare jetzt das Geld und kündige alle Policen".
Die Schwimmweste ist auch so eine Versicherung. Viele Opfer unter den Wanderpaddlern hätten überlebt, wenn sie die Schwimmweste ordentlich getragen hätten. Die Gefahren, die auf großen Seen oder ruhigen Flüssen trotz allem vorhanden sind, werden oft nicht gesehen oder einfach ignoriert. Da tut man gut daran, wenn man alle Gründe ("Ich kann doch schwimmen" oder "Da schwitz' ich so sehr" oder "Ich will aber braun werden" etc.) gegen eine Schwimmweste zur Seite legt und das Ding ordentlich und sicher anzieht.

Ebenso wichtig ist es, ständig das Gewässer um einen herum zu beobachten und so Gefahren rechtzeitig sehen und einschätzen können. Dabei sind offene, stehende Gewässer (Seen) ganz anders als Fließgewässer. In Flüssen hat man nie so sehr die Probleme mit starken Winden und den dadurch erzeugten Wellen, und man kann wegen der Wasserströmung die Hindernisse besser erkennen, die dicht unter der Oberfläche liegen. Dafür spielt einem in Flüssen die Strömung immer wieder einen Streich, so daß man in Biegungen an das Ufer oder unter überhängende Bäume geschoben wird. Es kann auch passieren, daß hinter einer engen Kurve plötzlich ein Baum liegt und man sofort volle Kalotte rückwärts paddeln muß. Auch die Hindernisse unter Wasser, auf die man auf Seen "nur" aufsitzt, können im Fluß ein Boot umwerfen. Da gilt es wie beim Auto fahren: Man darf nur so schnell fahren, daß man vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis noch sicher anhalten oder ausweichen kann.

Wenn man dann mal auf (mehr oder weniger) großer Fahrt ist, und das Boot will kippen, muß man seine Reflexe möglichst vollständig ignorieren - zumindest so lange, bis sich "Kanuten-Reflexe" entwickeln. Wenn ein Kanu z.B. nach links wegkippt, stützen sich viele Anfänger gegen den linken Bootsrand ab, damit sie nicht ins Wasser fallen. Und bringen dabei das Kanu noch viel mehr in eine instabile Lage. Oft genug kommt es nur durch solche Fehlreaktionen zur Kenterung.
Richtigerweise ist man im Boot um die Hüfte herum total locker, wie wenn man auf einem im Wasser schwimmenden Baumstamm reiten würde. Kippt dann das Boot nach links, lehnt man sich mit seinem Oberkörper nach rechts und versucht, durch dieses Gegengewicht das Boot wieder zu stabilisieren.

Hilft mal alles nichts mehr, und es kommt wirklich zur Kenterung, gibt es nur einen Rat: Spring aus dem Boot, bevor es ganz mit Wasser vollschlägt oder durchkentert. Und das ist eine echte Herausforderung: Dem natürlichen Reflex nach will man sich an alles klammern, was einen vor dem Wasser rettet. Und sei es auch nur für Sekunden.
Aber naß wird man so oder so, wenn das Boot kentert. Und je weniger Wasser dabei ins Boot gelangt, um so leichter und manövrierfähiger bleibt es. Nötigenfalls ist das rettende Ufer schneller erreicht, oder die diversen Bergetechniken im Wasser sind leichter durchführbar. Und es kann auch mal so "gut" gehen, daß dann nur wenige Zentimeter Wasser im Boot sind, und man kann gleich wieder reinklettern und dieses Wasser ausschöpfen.

Dabei komme ich gerade zu einem anderen Thema: Das Einsteigen ins Boot mitten im Wasser. Nicht nur auf Seen kann das wesentlich besser sein als zum Ufer zu schwimmen (evtl. mit dem Boot im Schlepptau und dementsprechend langsam), auch auf Flüssen ist das immer wieder die bessere Wahl. Z.B. wenn man am Ufer keinen geeigneten Platz finden kann, weil dort zu dichtes Gebüsch, Steilufer oder metertiefer Morast ist.
Zum Wiedereinsteigen aus dem Wasser schwimmt man an die Seite des Kanus, so ziemlich genau in die Mitte. Liegt in dem Bereich Gepäck im Boot, muß man das erst ma auf die Seite räumen, weil man Platz braucht. Ist das Boot so weit vorbereitet, hält man sich mit beiden Händen am Rand fest, läßt sich tiefer ins Wasser, um dann mit kräftig Beinarbeit mit dem Oberkörper so weit wie möglich aus dem Wasser zu kommen. So in etwa, wie wenn man im Schwimmbad das Becken nicht über die Leiter verlassen möchte.
Man darf dann allerdings nicht hoch aufgerichtet und aufm Bootsrand aufgestützt anhalten, weil sonst das Kanu gleich wieder kentert und das ganze Spiel von vorne beginnt. Sondern sobald der Oberkörper weit genug aus dem Wasser ist, läßt man ihn nach vorne ins Boot fallen. Möglichst weit auf den Boden, um den Schwerpunkt niedrig und damit das Boot stabil zu halten. Die Beine bleiben dabei ausgestreckt und im Wasser - man hängt letztendlich wie ein halbleerer Kartoffelsack über den Bootsrand. Hat man es so weit geschafft, braucht man sich nur noch zur Seite rollen lassen und dabei die Beine nachholen.
Das funktioniert selbst dann, wenn man als Solopaddler unterwegs ist. Ist man zu zweit unterwegs, kann der Paddelkamerad von der anderen Seite her das Boot stabilisieren, bzw. wenn er dann schon im Boot ist sich zur anderen Seite rauslehnen. Noch besser ist es natürlich, wenn man mit mehreren Booten unterwegs ist, und ein zweites Boot das eigene Kanu stabilisieren kann. Beim Wiedereinsteigen gilt wie bei so viel anderem: Übung macht den Meister. Also warum denn nicht mal mit dem Kanu an den Baggersee gehen und das Kentern und Wiedereinsteigen üben, während andere sich auf ihrer Luftmatratze grillen und einen Sonnenbrand nach dem anderen holen? ;o)

Ist das Boot dummerweise doch zu weit durchgekentert und voll Wasser, als daß man direkt wieder einsteigen könnte, muß man Boot und Gepäck bergen. Auch da gilt: Gleich im Wasser die Bergung vornehmen kann unter Umständen sehr viel Zeit sparen.
Dazu gibt es mehrere verschiedene Techniken, je nachdem ob man alleine unterwegs ist, oder mit mehreren Booten. Diese Techniken haben es aber in sich, und am einfachsten ist die Boot-über-Boot-Bergung. Wer sich für die anderen Techniken näher interessiert, kann sich in verschiedenen Fachbühern informieren, oder mal einen Paddelkurs mitmachen.

Ist das Ufer nahe genug, und auch gut geeignet zum problemlosen Anlanden und Boot bergen, dann natürlich nix wie hin. Dabei tut man sich leicht, wenn man eine längere Leine (z.B. Treidelleine oder Wurfsack / Rettungsleine) zur Verfügung hat. Dann kann man vergleichsweise frei schwimmen und das Boot an der Schnur hinter sich herziehen. Und erreicht das Ufer um die Länge der Schnur eher.
Mit langen Schnüren ist aber nicht zu spaßen, auch hier ist große Sorgfalt und Umsicht geboten. Zu leicht hat man sich darin verheddert und bleibt hängen. Manch an und für sich harmlose Kenterer wurde dadurch zur Tragödie!

Es gibt auch immer wieder Diskussionen, ob man denn nun das Gepäck im Boot festbinden soll oder nicht. Für das Festbinden spricht, daß sich das Gepäck nach einer Kenterung nicht über das gesamte Gewässer verteilt, bzw. einzelne schwerere Gepäckstücke nicht in der Tiefe verschwindet. Je nachdem wie gut man gepackt hat (Restluft im Gepäck), kann das Gepäck so auch als Auftriebskörper für das Boot dienen.
Gegen das Festbinden spricht, daß man nach einer Kenterung nahezu zwingend ans Ufer muß, und sei es noch so weit entfernt oder noch so ungeeignet beschaffen. Oder man verliert viel Zeit, wenn man erst noch das Gepäck losbinden und umladen muß. Die verschiedenen Bootsbergetechnik mitten aufm Wasser werden nämlich durch festgebundenes Gepäck so gut wie unmöglich.

Nicht festgebundenes Gepäck, das nach einer Kenterung davontreibt, empfinde ich nicht sehr schlimm. Das bleibt lange genug an der Wasseroberfläche (vorausgesetzt, es wurde gut gepackt) und läßt sich, nachdem das Boot wieder flott gemacht wurde, wieder einsammeln. Aufwendig eine Verschnürung lösen dagegen ist nur im Hochsommer aufm Baggersee harmlos. In kaltem Wasser oder bei Strömung dagegen beginnt dann nach der Kenterung der Wettlauf gegen die Zeit.

Beides, sowohl festbinden als auch nicht festbinden, hat seine Vor- und Nachteile. Unabhängig davon, wie man zu dieser Frage steht, soll das Gepäck gut und sicher im Boot verladen werden, damit es nicht verrutscht. Und wenn man sich für das Festbinden entscheidet, dann bitte, bitte nicht mit 20m Schnur und 50 Knoten. Besser eine Verschnürung mit einer "Not-Lösung", damit das Gepäck bei Bedarf (auch in bewegtem Wasser oder mit eiskalten Fingern) schnell gelöst werden kann. Geeignet sind z.B. auch solche ganz einfachen, handelsüblichen Spanngurte (die ohne Ratsche).

In ganz schlimmen Fällen muß einem das Gepäck und auch das Boot egal sein, da bleibt nur noch die Zeit um die Paddler zu retten. Das kann an Wehren, Staustufen und Wasserfällen vorkommen. Normalerweise hat das Wasser oberhalb einem Wehr keine Fließgeschwindigkeit, und man könnte theoretisch bis zur Wehrkrone hinpaddeln. Aber wehe, wenn es weiter oben am Fluß ein kräftiges Gewitter gegeben hat, oder dort oben irgendwo ein Wehr geöffnet wurde. Dann kommt ein Wasserschwall herab, der einen einfach über die Wehrkrone abspült. Oder es wird gerade an diesem Wehr eine Schleuse geöffnet, und man steht in der Gefahr in die Turbinen gesaugt zu werden. Oder, oder, oder... Möglichkeiten für die Gefahr gibt es viele, und frei nach Murphy passiert das genau dann, wenn man mutig bis an die vorderste Front paddelt. Also: Abstand zu Wehranlagen halten (auch von unten her!) und rechtzeitig ans Ufer gehen!
War die Neugier doch mal später, und man steckt mitten in der ungünstigsten Situation, dürfen sich die anderen Paddler niemals dazu verleiten lassen, hinterher zu paddeln oder zu schwimmen! Für solche Fälle gibt es den Wurfsack, mit dem die Helfer aus sicherer Distanz rettend eingreifen können.
Der Unglücksrabe muß sich dann auch beherrschen, und ja nicht anfangen noch irgendwas an Gepäck oder Bootsausrüstung mitnehmen zu wollen. Das kann dem Helfer am anderen Ende der Rettungsleine schnell zu viel werden, so daß der auch im Wasser landet. Und hier geht es um Menschenleben! Da müssen einem materielle Verluste egal sein.
Bei der Rettungsleine sollte man sich vor dem Kauf gut beraten lassen. Und das besser auch in einem Kanu-Fachgeschäft, nicht unbedingt in einer Kaufhaus-Sportecke. Wichtig: Die Rettungsleine muß schwimmfähig sein, und ca. 15 bis 20m lang (weiter kann man eh nicht werfen).
Zum Werfen behält man das eine Seilende in der Hand, und wirft den Wurfsack mitsamt der darin enthaltenen Rettungsleine dem Unglückspaddler zu. Hat man daneben geworfen, füllt man den Wurfsack einfach mit Wasser und wirft nochmal. Das Seil für den 2. Wurf erst wieder in den Wurfsack zurückstopfen, dauert zu lang. Und statt Wasser Steine in den Wurfsack tun ist auch gefährlich: Ganz nach Murphy's Law landet man dann einen Volltreffer, und dann heißt es "Volltreffer, Versenkt" anstatt "Opfer geborgen".
Das Seil wird nach Gebrauch einfach wieder Stück für Stück in den Wurfsack zurückgestopft. Nur so kann es beim nächsten Wurf wieder ohne Widerstand aus dem Wurfsack herausgleiten. Wickelt man es vorher zusammen, kann es sich verknoten oder verheddern, und der Rettungswurf wird viel zu kurz. Bei nächster Gelegenheit soll man das Seil auch ordentlich trocknen lassen, nicht daß es wegen der Nässe stockt und dann selbst das Kunststoffmaterian mürbe wird.

Ganz generell und grundsätzlich gibt es nur eine einzige Rangfolge und Priorität beim Bergen: Zuerst die Besatzung, dann das Boot, dann das Gepäck. Eine Fotoausrüstung z.B. mag viel wert sein, aber ist nichts im Vergleich zu einem Totalverlust an Material oder sogar von Menschenleben.

Zurück